Synästhesie: Wie schmeckt die Farbe Gelb?

Farben schmecken, Töne sehen: Menschen mit Synästhesie haben eine besondere Wahrnehmung unserer Welt. Wir stellen drei berühmte Synästhetiker vor – und laden zu einer synästhetischen Erfahrung in die Autostadt.

TEXT: MATEA PRGOMET
FOTOGRAFIE: JENS LEONHARD HEINRICH, GETTY IMAGES/FLAVI COELHO
31.08.2022

Wer von Synästhesie betroffen ist, kann Wörter riechen oder schmecken, sieht beim Musikhören vor seinem inneren Auge Farben oder Muster, verbindet Buchstaben mit einer Farbe oder Eigenschaft. Synästhetische Wahrnehmungen lassen sich nicht kontrollieren, sie passieren einfach. Bei der Stimulation eines Sinns wird eine zusätzliche weitere Sinneswahrnehmung ausgelöst. Forscher gehen davon aus, dass etwa vier Prozent aller Menschen eine der etwa 80 verschiedenen Formen von Synästhesie aufweisen und dass diese besondere Gabe vererbt werden kann.

Kunst und Synästhesie

Für die Kunst spielt Synästhesie seit jeher eine wichtige Rolle: Einerseits besitzen viele Künstler die Gabe der Synästhesie, andererseits ist es ohnehin oftmals ein Anliegen der Kunst mehr als einen Sinn anzusprechen. Fakt ist: viele Synäthethiker haben ihr Umfeld nachhaltig geprägt und stehen bis heute für Innovationsgeist und Kreativität.

Der Formversteher Wassily Kandinsky

Der russische Maler Wassily Kandinsky (1866 – 1944) war ein großer Theoretiker und Wegbereiter der abstrakten Kunst. Er hatte ein sehr ausgeprägtes Empfinden für Farbe und Form, was auf seine Synästhesie zurückzuführen ist. Kandinsky ordnete Farben verschiedene Sinneseindrücke zu: Blau empfand er als weich und aromatisch, Gelb hingegen scharf und stechend. Auch die Zugehörigkeit bestimmter Farben zu Formen gehörte zu den Besonderheiten seiner Kunst: Blau ordnete Kandinsky einem Kreis zu, Rot einem Quadrat und Gelb einem Dreieck.

Die Farbenhörerin Hélène Grimaud

Für die französische Pianistin Hélène Grimaud (geboren 1969) hört sich C-Dur schwarz und D-Moll leuchtend blau an. Hört sie die entsprechenden Harmonien, erscheinen die Farbeindrücke vor ihrem inneren Auge: sie verfügt über eine Musik-Farb-Synästhesie. Jede Note und jede Tonlage hat für sie eine eigene Farbenwelt. Mit dieser Begabung ist die weltberühmte Pianistin nicht allein: auch andere Musiker und Musikerinnen wie Lady Gaga, Hans Zimmer, Billy Joel oder Pharrell Williams haben eine Musik-Farb-Synästhesie.

Der Visualisierungskünstler Nicola Tesla

Der berühmte Erfinder, Physiker und Elektroingenieur (1856 – 1943) war sich höchstwahrscheinlich nicht der Tatsache bewusst, dass er ein Synästhetiker war. In seinem Buch „Meine Erfindungen“ beschrieb der serbisch-amerikanische Erfinder jedoch detailreich seine ungewöhnlichen sensorischen Erfahrungen und erstaunlichen Visualisierungsfähigkeiten. Heute gehen Mediziner davon aus, dass Tesla Synästhesie in Verbindung mit einem fotografischen Gedächtnis erlebte: Bestimmte Worte lösten Visionen aus, die in seinem Kopf aufblitzten. Außerdem konnte sich Tesla die komplexesten Maschinen mit äußerster Präzision im Kopf vorstellen. Bevor er eine Skizze zu Papier brachte, arbeitete er die gesamte Idee im Kopf aus und nahm dort vor seinem inneren Auge sogar Verbesserungen vor.

Erlebe eine synästhetische Erfahrung in der Autostadt

Der dänische Künstler Olafur Eliasson gilt als einer der bedeutendsten und bekanntesten Gegenwartskünstler. Er ist zwar kein Synästhet, beschäftigt sich in seinen Werken jedoch intensiv mit Luft, Licht, Pflanzen und Wasser – und wie diese auf Menschen einwirken.

Jedes Frühjahr wird in der Park- und Lagunenlandschaft der Autostadt ein spektakuläres Kunstwerk Eliassons neu aufgebaut und bis zum Herbst mit anderen Pflanzen inszeniert: der Dufttunnel. Das bietet nicht nur einen olfaktorischen und visuellen Reiz, sondern spricht auch unseren Gleichgewichtssinn an. Der Dufttunnel dreht sich langsam um seine eigene Achse – und wird so zu einem ganzheitlichen Sinneserlebnis.

Mehr Informationen zum Dufttunnel finden Sie hier.