Sieben ständige Ausstellungen unter einem Hoteldach
Das The Ritz-Carlton, Wolfsburg gehört nicht nur zu den elegantesten Hoteladressen Deutschlands. Es beherbergt auch fast 650 Werke von international bekannten Fotografen. Viele sind in den öffentlich zugänglichen Räumen des Fünfsternehotels gehängt. So können nicht nur Gäste, sondern auch Kunstinteressierte bei einem Rundgang durch das Hotel staunenswerte Einblicke in die fotografische Kunst des 20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts gewinnen.
Marcus Reiser ist Director of Sales and Marketing im The Ritz-Carlton, Wolfsburg. Er hat eine große Leidenschaft für Kunst, da ist ein besserer Arbeitsplatz als das kunstgeprägte Umfeld des Hotels wohl kaum vorstellbar. Doch während Reiser selbst Pop Art, Graffitikunst und Comics liebt, ist er in den öffentlichen Räumen des Hotels von den berühmtesten Zeugnissen fotografischer Kunst umgeben. Er kennt viele ihrer Geschichten. Da ist die des Fotografen, der in seine großformatigen, streng komponierten Schwarzweißfotografien Wolken hineinretuschierte. Oder die der Fotografin, deren Arbeit auf den ersten Blick etwas stümperhaft wirkt, nämlich unscharf. Erst wenn sich das Auge hineingesehen hat, stellt das menschliche Gehirn aus den verschwommenen Konturen plötzlich ein scharfes Bild her. Kunst, gewinnt man schnell den Eindruck, ist im The Ritz-Carlton keine Dekoration, sondern wird Teil des Gesprächs, auch unter Gästen.
Reiser zeigt auf Richard Pares Great Pyramid of Cheops Giza aus dem Jahr 2000. Das farbige Großformat hängt in der Bibliothek, in der Gäste ihren Afternoon Tea nehmen, durch Bildbände blättern und aus dem Panoramafenster die beeindruckende Kulisse des Volkswagen Kraftwerk mit seinen vier ikonografischen Türmen erspähen. Doch dieses berühmte Beispiel der Industriekultur wirkt neben der Cheopspyramide von Pare plötzlich klein. Vor den Konferenzräumen hängen Schwarzweißfotografien aus unterschiedlichen Jahrzehnten. Ralph Gibson ist dabei, André Kertesz und der ballonfahrende Fotograf Robert Petschow. Allen Arbeiten ist gemein, dass die Menschen nicht auf den Betrachter blicken, sondern von ihm weg. So laden sie ihn zu einem Blick über die Schulter ein: Der Betrachter des Fotos sieht, was der Mensch im Bild sieht.
Im Eingangsbereich der Hotellobby hingegen hängt ein Altmeister der Schwarzweißfotografie, der gleichzeitig ein Wolfsburger Lokalmatador war. Heinrich Heidersberger, verstorben im Jahr 2006 im Alter von 100 Jahren, ließ sich 1961 in Wolfsburg nieder. Er porträtierte seine Heimatstadt in vielen Facetten und Formaten, von der Tankstelle Blauer See, die Anklänge an Los Angeles besitzt, bis zur Monumentalaufnahme des Kraftwerks aus dem Jahr 1971, heute eine Ikone der Fotografie.
Kunst und Genuss
Im Restaurant Terra hängt Kunst, die eigentlich gar nicht als solche
gedacht war. Für seine Dozentenstelle am Kunstgewerbemuseum Berlin hatte
sich Karl Blossfeldt einfach nur überlegt, seinen Studenten das
Unterrichtsthema „Modellieren nach Pflanzen“ etwas besser zu vermitteln.
Staunenswerte Details aus der Flora wollte er festhalten. Mittels einer
Plattenkamera fotografiert und bis zum 45-fachen vergrößert, gewannen
seine Farne, Winden und Blütenkapseln eine fast erstaunliche
Lebendigkeit. Als ein Berliner Galerist ihn überzeugen konnte, aus
seinen Fotografien ein Buch zu machen, wurde Blossfeldt im
Erscheinungsjahr 1928 über Nacht als Fotograf berühmt. Wenn Gäste kommen
und diese Tableaus im Restaurant entdecken, so weiß Marcus Reiser zu
berichten, werden deren Identifikationen oft zum Tischgespräch.
Auf dem Weg zum Sternerestaurant Restaurant Aqua hängen Fotografien von Michael Kenna. Aufgenommen am frühen Abend und eingefangen mit bewusster Unschärfe, leuchten seine detailfokussierten Aufnahmen den verwunschenen Charakter französischer Schlossgärten aus und verleihen dieses etwas Mystisches. „Jeder Moment besitzt unendliche fotografische Möglichkeiten,“ sagt Michael Kenna. Im Instagram-Zeitalter, wo unzählige Fotografien ganz selbstverständlich auf dem privaten Handy gespeichert sind, scheint seine Beobachtung nur die Bestätigung einer Tatsache. Einen Augenblick in vielen Posen und allen Richtungen einzufangen, ist ein Vorgang, der uns ganz normal vorkommt. Die Bildbearbeitung, die dafür sorgt, dass eine Stimmung noch wärmer und ein Gesicht noch gewinnender wirkt, klappt auf dem einfachsten Handy. Aber das hatte Kenna nicht gemeint. Er hat im Gegenteil keinesfalls ein Interesse daran, Fotografien digital nachzubearbeiten, denn das würde die Verbindung zur Realität stören. Umso überraschender ist, dass seine Fotografien alles andere als realistisch wirken.
„Jeder Moment besitzt unendliche fotografische Möglichkeiten.“
MICHAEL KENNA
Das Hotel als ernstzunehmende Kunstgalerie
Wo Michael Kenna für seine Landschaften bekannt ist, ist Arnold Newman für seine Porträts berühmt. Zu seiner Zeit (er starb im Jahr 2006) lichtete er das Who’s Who der internationalen Prominenz in Kunst und Politik ab. In seinen kunstvoll arrangierten und sehr durchdachten Arbeiten sollte stets der Mensch hinter derm Beruf durchscheinen. Heute als environmental portraits bekannt, wirken seine Porträts noch heute, Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, modern und zeitgemäß, obwohl sie sich Trends verschließen.
Ebenso verhält es sich mit der Hängung der Fotografien in den öffentlichen Räumen des Hotels The Ritz-Carlton. Das beliebte Ausstellungsprinzips des White Cube, also des weißen Hintergrunds, wurde hier bewusst nicht angewendet. Die Rahmung der Fotografien ist deutlich sichtbar und diese und die Platzierung der Kunst korrespondiert mit der Architektur des Hotels. Da bieten Panoramafenster unverstellte Ausblicke, auf die Lagune, den Brunnen und den Aqua-Garten, und wechseln sich doch gleich wieder ab mit Fotografien, die Ausblicke in vergangene Zeiten bieten. So hat dieses sehr modern gestaltete Hotel seine öffentlichen Räume im wahrsten Sinne sinnvoll gestaltet.